Donnerstag, 20. Oktober 2011

Der Rattenfänger von Erbil

Wir haben uns mittlerweile damit abgefunden nur maximal fünf Stunden am Tag zu schlafen. Ich hab zwar Augenringe bis unter den Bauchnabel, aber dafür gibt es schließlich Sonnenbrillen. Gelegentlich falle ich hinter den dunklen Gläsern in einen kurzen, komatösen Schlaf. Heute ist der Tag des Konzerts. Wir sind schon früh am morgen auf den Parkplatz vor dem Minarettpark gefahren. Hier steht unsere Stage gesäumt von zwei Tribünen.
Die PA-Firma "Babylon Productions" macht ihrem Namen alle Ehre. Keiner versteht den anderen, alle reden aneinander vorbei. Kurdisch, arabisch, englisch, deutsch. Die Bühne wurde nach irgendeinem anderen Plan verkabelt. Alles muss neu gesteckt werden. Der technische Leiter von "Babylon Productions" hat keinen Bock mehr. Er fährt heim.

Wir sitzen in der brütenden Hitze. Es hat 40°. Julia und Simon werden von zwei Jugendlichen ausgelacht, als sie sich mit Sonnencreme einreiben. Neben der Bühne wurde mittlerweile ein bayerisches Festzelt errichtet. Die Alphornbläser trinken ihr erstes bis achtes Bier. Ein paar Stunden später wird Chrischtian zwei kurdische Polizisten im Armdrücken abziehen.
Leider ist bisher der zweite Verstärker noch nicht aufgetaucht. Erst kurz vor dem Konzert kommt ein kleiner Keyboardverstärker auf der Bühne an. Was solls! Damit muss es auch gehen. Die Umstände könnten nicht wiedriger sein. Die Anlage knackst, das Schlagzeug rumpelt, die Verstärker krächzen. Zur Sicherheit wurde zwischen Publikum und Bühne ein zwanzig Meter langer Sperrbereich errichtet. Und damit auch wirklich nichts mehr bei den Leuten ankommt haben sich noch 5 Kameramänner mit ihren Podesten mitten in die Sichtlinie gestellt. Ich bin deprimiert. Es wird grauenhaft.

Nach den Alphornbläsern und einem klassischen Beitrag stürmen wir die Bühne. Auf den Tribünen links und rechts sind mittlerweile gut gefüllt. Vor uns herrschen gähnende Leere, blinkende Recordlämpchen und ein Polizeikommando.
Wir sind nicht in den Irak gefahren um vor 200qm Asphalt zu spielen. Ich packe das Mikro aus der Halterung und laufe zur Tribüne. Zwei Typen helfen mir hoch. Das Publikum checkt allmählich das die Sitzveransaltung jetzt vorbei ist und springt von den Plätzen. Ich komm mir vor wie dieser Rattenfänger von Hameln als ich die Leute mit Mikro statt Flöte von der Tribüne runterlocke. Die Polizisten werden nervös. Sie stoßen die tanzende Meute zurück. Doch wie aus dem nichts erscheint unser eigenes Sondereinsatzkommando: Die Alphornbläser! Mit der Kraft von acht Weißbier drücken die in Lederhosen uniformierten Buam den Pulk durch die Polizeibarriere. Diese gibt schließlich resigniert nach und überlässt den Platz vor der Bühne den tobenden Massen. Und so geschah es, dass diese steifärschige Veranstaltung dann doch noch ganz geil wurde.